Mittwoch, 3. März 2010
Erdbeben in Chile 27.02.2010
Auch wenn es nicht viele aus m. "Freundeskreis" gibt, die Interesse haben, wie es mir nach dem Erdbeben geht, dachte ich mir, veröffentliche ich den Artikel, den ich für die Zeitung geschriebe habe, trotzdem auf meinem Blog, für diejenigen, die nach mir gefragt haben...

TA und OTZ, 02.03.2010:

In der Wohngemeinschaft unseres Apartments im 8. Stockwerk im Zentrum von Santiago wurde ich um 3.30 Uhr Ortszeit mit den Worten „Gloria, Gloria ein Erdbeben“ auf Spanisch von meiner chilenischen Freundin aus dem Schlaf gerissen.
Meine ,im 4. Monat schwangere, Mitbewohnerin war ganz außer sich.
Gemeinsam saßen wir dann im Wohnzimmer und warteten was passieren wird. Innerhalb weniger Sekunden wurden die Erschütterungen immer stärker. „Gloria, gib mir deine Hand“ sagte sie mit einer angsterfüllten Miene. Die Vibrationen wurden immer heftiger. Gläser, Bilder, Blumenvasen fielen auf den Boden. Plötzlich ging sie zum Tisch, warf den Stuhl zur Seite und rief mir zu, dass ich kommen solle. Aneinanderkauernd saßen wir dann unter dem Tisch und warteten, dass die Erschütterungen endlich ein Ende nehmen. „Ich habe Angst Gloria, ich habe Angst“ wiederholte sie immer wieder auf Spanisch. Obwohl ich selbst Angst hatte, versuchte ich sie zu beruhigen und sagte ihr, dass uns nichts passieren wird. „Es ist gleich vorbei“. Ich kann nicht sagen wie lang die Beben angehalten haben. Ich hatte überhaupt kein Zeitempfinden. Nach einiger Zeit kam mein Freund aus dem Schlafzimmer und rief nach uns. Ich kroch unter dem Tisch hervor und gab ihm ein Zeichen. In dem Moment hörten die Erschütterungen auf. Mein Freund sagte mir, dass er auf dem kurzen Weg ins Wohnzimmer dreimal hingefallen sei, aufgrund der heftigen Stöße. Er griff nach seiner Jacke und lief aus dem Apartment, um nach den Mitbewohnern im Haus zu schauen. Eine Frau, welche am Ende des Flures wohnt, rief nach ihm hilfesuchend. Sie sei allein und habe Angst. So gingen meine Freundin und ich zu ihr in die Wohnung, um ihr Beistand zu leisten. Dort waren durch das Beben die Möbel verrückt, Wasser floss über den Boden, Scherben waren überall verteilt, Gemälde hingen schief an den Wänden und es gab keinen Strom. Wir setzten uns auf die Couch, zündeten Kerzen an und warteten auf das, was noch passieren wird. Immer wieder spürten wir leichte Erschütterungen und hörten Glas, das auf dem Boden zerschmettern. Die Sirenen ertönten. Nach gefühlten 30 Minuten kam mein Freund wieder zurück und sagte mir, dass die Straßen voller Menschen seien, die aus Angst ins Freie gerannt waren.
Zu dem Zeitpunkt war mir das Ausmaß des Erdbebens gar nicht bewusst. Während meine schwangere Freundin immer noch verkrampft und angstvoll auf der Couch saß, begann ich mich langsam wieder zu beruhigen.
Ich hatte das Gefühl, dass uns jetzt nichts mehr passieren wird. So schlief ich ein.
Als ich am späten Morgen aufstand, waren alle schon mit dem Beseitigen der Schäden beschäftigt. Sie fragten mich, ob ich meine Familie schon benachrichtigt hatte. Ich sagte zu ihnen, dass man in Deutschland bestimmt gar nicht wüsste, was hier passiert sei. Ich hatte die Situation total unterschätzt, vielleicht auch, weil ich in der Nacht alles nur im Halbschlaf wahrgenommen hatte. Als ich meinen Computer anschaltete, riefen mich sofort meine Eltern über Internet an und ich beruhigte sie, dass es mir gut ginge. Danach schaute ich Nachrichten und fing an zu realisieren, was das Erdbeben für Schäden angerichtet hatte und wie schlimm die Auswirkungen sind. Mir wurde erst richtig bewusst, dass es sein kann, dass uns noch mal ein solches Beben heimsucht. Mit Nachbeben ist immer zu rechnen. Nun habe ich wirklich Angst, denn wir wissen einfach nicht, was wir in Zukunft noch zu befürchten haben.
Als die Beben in der Nacht am stärksten waren, pochte mein Herz ganz schnell und ich fragte mich, was wir tun könnten, um uns noch besser zu schützen. Wie verhält man sich bei einem Erdbeben? Diese Frage beschäftigt mich nun die ganze Zeit. Wie reagiere ich, wenn uns weitere starke Nachbeben heimsuchen? Immer wieder spüren wir leichte Erschütterungen und ich merke, wie mein Herz schlagartig anfängt wie wild zu pochen.
Erst am Samstag Nachmittag traute ich mich das Haus zu verlassen, um zu sehen, wie schlimm die Schäden im Umfeld sind. Die Laternen waren umgefallen, das antike Universitätsgebäude der „Universidad de Catolica“ war erheblich beschädigt. Teile des oberen Geschosses lagen als Trümmer vor dem Gebäude. Auch das Kunstmuseum „Museo de Bellas Artes“ wurde in Mitleidenschaft gezogen. Im Allgemeinen sind die Folgeschäden des Erdbebens hier im Zentrum von Santiago nicht all zu schlimm im Vergleich zu anderen Stadtteilen Santiagos. Nachdem das Strom- und das Telefonnetz wieder funktionierten, telefonierte mein Freund mit seiner Familie. Sein Onkel wohnt im Süden von Santiago in der Kommune „Maipu“, in dem die Schäden weitaus schlimmer sind. Das Haus seines Onkels stürzte in der Erdbebennacht ein. Sie rannten zu dem naheliegenden Haus einer Verwandten und warteten dort , dass das Erdbeben verging.
Nach dem Erdbeben haben sie versucht, Wertgegenstände noch aus ihrem eingestürzten Haus zu tragen.
Ein anderer chilenischer Freund schrieb mir, dass er auf den Anruf seiner Familie wartet, da sein Onkel bisher verschollen ist.
Die U-Bahn ist geschlossen und die Straßen, die normalerweise täglich von Tausenden Menschen heimgesucht werden, scheinen ausgestorben zu sein. Die meisten Märkte, die sonst auch am Wochenende geöffnet haben, sind geschlossen. Nach langer Suche fand ich einen kleinen Straßenladen, welcher geöffnet hatte. Es gab so gut wie nichts mehr zu kaufen, alles ausverkauft. So kaufte ich, was ich noch zum essen fand: Schokoriegel und Chips. Ich bin wirklich gespannt, ob ich in den nächsten Tagen überhaupt irgendwo Essen kaufen kann.
Wie ich aus Berichten des chilenischen Fernsehens erfuhr, ist in dem Hauptschädengebiet z.B. in der 500 km entfernten Stadt Concepcion unter anderem eine Piraterie eingetreten. Zerstörte Supermärkte werden zu Selbstbedienungsläden und somit beraubt.

Man wusste, dass es ein Erdbeben geben wird, aber Seismologen konnten es nur auf einen Zeitraum von 2-3 Jahrzehnte präzisieren.
Jetzt werden im Dauerprogramm Nachrichten gesendet. Allerdings wird nur über die Folgeschäden des Bebens berichtet und nicht, mit welchen in Zukunft noch zu rechnen sind oder wie man sich im Falle eines weiteren Erdbebens verhalten solle. So bleibt uns im Moment nicht anderes übrig als abzuwarten.

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